Gestaltung + Architektur
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Dorothea Cüppers

urban gardening – Eine neue Herausforderung für die Freiraumplanung?

Ein Beitrag von Dipl.-Ing. Volker Lange, Landschaftsarchitekt und - Kirchditmolder

Urban gardening ist seit einigen Jahren deutschlandweit ein fester Begriff für das Gärtnern in der Stadt im weitesten Sinne.

Ursprünglich in den USA in den 70iger Jahren erfunden, sind der Begriff wie auch dessen Bedeutung inzwischen weltweit bekannt und beides wird auch weiterhin von den verschiedensten Akteuren propagiert und die zugrundeliegenden Ideen verbreitet – so verschieden diese im Einzelnen auch sind.Die Beschäftigung mit dem Thema ist aus Sicht einer Stadtverwaltung evident, da es sich um eine neue Nutzungsform des öffentlichen Grüns handelt. Urban gardening hat jedoch anders als die klassische Kleingartenbewegung unterschiedliche Wurzeln, Mitstreiter und schließlich auch Ziele. Zunächst gab es urbanen Gartenbau letztlich schon immer, so lange es Städte gibt, denn das Ziel der Nahrungsmittelproduktion in unmittelbarer Nähe der Konsumenten wurde allein aus pragmatischen Gründen verfolgt.

Mit dem heute verwendeten Begriff des urban gardening wird aber ein neuer, tieferer Sinn verbunden, der über die bloße Nahrungsmittelproduktion hinausgeht. Wesentlich ist hier die umweltschonende Erzeugung der Produkte, die zusammen mit den kurzen Transportwegen und dem Verzicht auf Chemikalien ein Beitrag zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen darstellen soll. Der Anbau von gesundem Gemüse und Obst vor Ort ist auch eine Kritik und Abkehr von der zunehmenden Globalisierung: Bio-Früchte aus Übersee sind dabei aufgrund ihrer CO²-Bilanz ebenso fragwürdig wie eine immer industrieller geprägte Landwirtschaft. Die regional erzeugten Produkte sollen aber auch den Bezug der Menschen zum unmittelbaren Lebensumfeld stärken bzw. wieder herstellen. Kenntnis und Verarbeitung traditioneller Feldfrüchte werden als wichtiger Beitrag zur Stärkung der kulturellen Identität gesehen, die Orientierung des Speiseplans am Jahresverlauf hat nicht nur ökologische Vorteile. Ein weiterer Aspekt, der urban gardening für viele ganz unterschiedliche Menschen so anziehend macht, ist die sozial-kreative Komponente. Gartenarbeit macht in der Gruppe einfach mehr Spaß, gleichzeitig können Erfahrungen ausgetauscht werden und Kontakte geknüpft. Insbesondere in Bezug auf Kinder sind umweltpädagogische Motive ebenfalls von hoher Bedeutung. In sozial benachteiligten Bezirken spielen auch die kostengünstige Selbstversorgung mit Lebensmitteln sowie der Integrationsgedanke eine Rolle.

Insgesamt wird deutlich, dass es in der Tat viele Facetten sind, die das Phänomen urban gardening beinhaltet und beeinflussen. Hinter dem Boom und allgemeinen Trend zum Grün steht hier ein (neues) politisches Bewusstsein, bei der die Abkehr von der Globalisierung und die Suche nach alternativen Lebens- und Wirtschaftsformen im Vordergrund stehen.

In Bezug auf das öffentliche Grün ist eine Auseinandersetzung mit diesem Trend erforderlich, denn durch diese neue Nutzungsform werden auch die üblichen kommunalen Planungsprozesse in Frage gestellt. Die Aneignung von nicht genutzten oder ganz brach liegenden Flächen erfolgt durch urbane Gartenpioniere unter Umständen schnell und kraftvoll. Die Sympathien liegen meist auf der Seite der Aktiven, einmal in Beschlag genommen, sind die Garteninitiativen nicht wieder so leicht von den eroberten Flächen zu bekommen. Aber auch bei von Anfang an akzeptierten Initiativen gilt es, Regeln aufzustellen und einzuhalten, um den oft vielen kreativen Ideen einen vertretbaren Rahmen zu geben. Anders wie bei den Kleingärten gibt es hier keine gewachsenen, erprobten und allseits anerkannten Richtlinien und Verhaltensregeln.

Die Kommune ist hier als Moderator gefragt, der Weichen stellt, Möglichkeiten aufzeigt, Wege ebnet, Kontakte herstellt und vermittelt. Zukünftiges Grünflächenmanagement bedeutet nicht mehr nur die Planung und Pflege von öffentlichen Grünflächen zu organisieren, sondern flexibel auf die immer wieder neuen und überraschenden Nutzungsansprüche der Menschen an ihre Freiräume zu reagieren. Unsere Städte werden immer bunter, multikultureller, auch chaotischer und voller, die Ansprüche ihrer Einwohner an ihr Wohnumfeld steigen, gleichzeitig müssen Städte viele Funktionen erfüllen und sie stellen nach wie vor ein wichtiges Element unserer natürlichen Lebengrundlagen dar. In diesem vielfältigen, schwierigen Umfeld gilt es für Kommunen, den Bestand der lebensnotwendigen Parkanlagen und Grünflächen und deren dauerhafte Entwicklung klug, flexibel und kreativ zu fördern, damit auch spätere Generationen gerade in Städten noch eine lebenswerte Umwelt vorfinden. Das Schöne ist, dass die Garten- und Grünflächenämter bei dieser schwierigen Aufgabe durch die vielen Akteure des urban gardening neue Unterstützer und Partner finden – wenn sie es wollen und aus ihrem üblichen Rollenverständnis hinausfinden.

Fazit: Auf breiter gesellschaftlicher, institutioneller und räumlicher Ebene gibt es heute ein extrem starkes Interesse am Grün, Freiraum, Pflanzen und insbesondere Nutzung mittels essbaren Pflanzen zur Nahrungsmittelproduktion. Gleichzeitig gibt es das Dogma der angeblich erforderlichen Verdichtung bzw. „Nach“-verdichtung von Städten und den Verlust von unberührten Landschaften und Technisierung derselben durch Solar-, Wind- und Biogasanlagen. Die letzte Streuobstwiese im Viertel wird bebaut mit zwangsbelüfteten Niedrigenergiehäusern und vollverglasten, schallisolierten Eigentumswohnungen, gleichzeitig werden Bio-Äpfel aus Neuseeland einflogen. Vor diesem Hintergrund ist urban gardening letztlich überall, an jeder Stelle, auf jedem Rasenstreifen, jeder Verkehrsinsel, jedem brach liegenden Baugrundstück positiv zu bewerten, weil wir daran erinnert werden, was bei uns alles wächst, wann und wie Gemüse reift, wie reich und vielfältig der Ertrag von ein paar Quadratmetern Boden sein kann und wie gut und saftig eine reife, selbst geerntete Frucht schmecken kann.

Umweltprobleme, ökonomische und gesellschaftliche Veränderungsprozesse führen zu einer neuen globalen, grünen Revolution. Der urbane Garten ist dabei der gemeinsame Nenner für alle gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen:

- Die Lust am Garten ist längst en vogue und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ähnlich wie England und Frankreich parliert man gerne mit, in und über Gärten und Pflanzen.
- Die Freude an Gärten und Gemüsebau erhält zusätzlichen Auftrieb durch die neue Lust am Kochen und die auch dort allseits gepriesene Regionalität der Lebensmittel sowie die besondere Beachtung der Geschmacksnuancen unterschiedliche Gemüsesorten.
- Lust am aktiven Alter: Die Menschen werden gesünder älter, haben ein Bewusstsein für gesunde Ernährung, Freude an Blumen, aber auch an maßvoller körperlicher Betätigung – und Zeit!
- Schüler und Jugendliche: Der urban gardening-Trend unter jüngeren Menschen nährt sich aus einer „Revolte-Haltung“ und der typischen Anti-Haltung zum gesellschaftlichen mainstream. Der Geist der Öko- und Friedensbewegung der 80iger Jahre ist den heute 15- bis 25 jährigen unbekannt, heutige Probleme wie Globalisierung der Weltwirtschaft, Gen-Food und Klimawandel aktivieren junge Menschen erneut.

Die breite Akzeptanz basisdemokratischer Prozesse und Bürgerbeteiligungen durch Politik und Verwaltung hat ein neues Selbstbewusstsein geschafft, Mitbestimmung und Teilhabe wird nun nicht mehr nur an Planungsprojekten, sondern auch ganz unmittelbar an den Freiräumen der Stadt eingefordert. Es entsteht langsam, aber sicher ein neues Verständnis von Urbanität, das auf eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und einem weitgehend selbstbestimmten Handeln basiert.

Für den Berufsstand der Gärtner heißt das: Wir haben Rückenwind! Es wurde noch nie so viel Geld in der grünen Branche ausgegeben wie gegenwärtig, das Interesse an unseren Produkten und Fähigkeiten war noch nie so groß. Die urban-gardening-Bewegung zeigt uns dabei, was die Kunden zukünftig von der grünen Branche erwarten:

-nachhaltige Produkte mit regionalem Bezug
-lokale Netzwerke mit kurzen Wegen
-ganzheitliche, zeitgemäße und kreative Lösungen

und schließlich:

-Service, Service, Service! Denn die Kunden werden älter und hilfsbedürftiger, aber auch gebildeter und anspruchsvoller.

Urban gardening ist ein Trend, der uns noch lange begleiten wird und der noch viele Überraschungen bereit hält – lassen wir uns darauf ein!

 


In Kassel gibt es folgende urbane Garteninitiativen und Projekte (Liste ist definitiv unvollständig!)

urban gardening in Kassel
1. TRA.FO am Lutherplatz: Kulturpflanzen-Pflanzenkultur-Permakultur
2. Selbsternteprojekt Wiener Straße: Gemüseanbau
3. ForstFeldGarten: Essbarer Forst, Gemüsefeld, Kinder-Lern-
Garten
4. Essbare Stadt e.V.: Obstgehölze, Ernteverwertung,
Bewußtseinsbildung
5. Gemeinschaftsgarten Huttenplatz: Natur schaffen, gemeinsam gärtnern
6. Transition-Town-Kassel: Netzwerk Stadt im Wandel für zukunftsfähige
und am Menschen orientierte Lebensweise
7. Selbsthilfeprojekt Internationaler Familiengarten Waldau: Eigenversorgung mit
Nahrungsmitteln
8. Frauengarten Rothenditmold: Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln,
Integration
9. Internationaler Garten Brückenhof: Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln,
Integration
10. Internationaler Frauengarten Waldau: Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln,
Integration
11. Saisongarten Waldauer Wiesen: Gemüseanbau
12. Gemeinschaftsgarten Blücherstraße: Eigenversorgung mit Nahrungsmitteln
13. Kirchditmold, Todenhäuser Straße Gemüsebau

 

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